Ein Hippie mit gutem Benehmen
Ein Interview mit Steve Kanney-Sensei, Dojo-cho von Scarsdale Aikido, New York
Bitte erzähle uns wer Du bist und wie Du zum Aikido gekommen bist.
Mein Name ist Steve Kanney und ich versuche noch herauszufinden, wer ich bin. Ich habe 1978 mit dem Aikido begonnen. Ich hatte zu der Zeit schon fünf Jahre gerungen. Doch beim Ringen ging es den Kollegen immer darum sich gegenseitig mit roher Kraft zu überwinden. Mein Trainer hielt dies für richtig, doch ich mochte das nicht. Ich arbeitete eher mit Schnelligkeit, Timing und Atemtechnik. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass ich, wenn ich älter werde, nicht mehr ringen könnte … und ich meine nicht sehr viel älter. Es war doch schon ein ziemlich brutaler Sport. Ich bekam ein Buch über Aikido in die Hände und darin ging es um Timing und Atemkraft und all die anderen Dinge für die ich mich interessierte. Jemand hatte schon all das herausgefunden, woran ich interessiert war und würde es mir beibringen können. Das fand ich großartig. Es stellte ich heraus, dass in meiner Nähe gerade ein Dojo eröffnet hatte, was 1978 noch eine Seltenheit war. Damals ging ich noch zur High School. Es gab in ganz Florida nur drei Aikido-Schulen – und eine davon lag nur wenige Meilen von meinem Zuhause entfernt. So habe ich angefangen.
Hast du regelmäßig trainiert oder gab es längere Pausen?
Ich habe ein paar Mal versucht mit dem Aikido aufzuhören. Als ich nach New York zog, wollte ich nicht im New York Aikikai trainieren.
Hast Du zu der Zeit schon unterrichtet?
Hin und wieder. In meinem Dojo in Miami habe ich öfter unterrichtet, obwohl ich dort nicht regelmäßig lebte. In Atlanta bin ich zur Schule gegangen, da habe ich nicht wirklich viel unterrichtet. Da ich nicht im NY Aikikai trainieren wollte als ich nach New York kam, begann ich mit dem Judo. Das habe ich zwei Wochen lang durchgehalten. Den Lehrer mochte ich auch nicht, aber ich konnte sonst nirgendwo hin. Ich ging also eine Weile in ein kleines Dojo in Brooklyn, wo ich auch ein bisschen unterrichtet habe, aber der Weg war zu weit, da meine Wohnung in Manhattan lag. Also habe ich doch wieder im NY Aikikai angefangen.
Bei wem hast Du die Prüfung zum ersten Dan abgelegt?
Das war bei Nelson Andujar, einem Schüler von Yamada-Sensei. Er war mein Lehrer in Miami, als ich anfing.
Du hast mir erzählt, dass das Dojo zunächst zuerst dem Aikikai angehörte, doch dann seid ihr zum Iwama-Ryu gewechselt. Warum?
Das Iwama-Ryu gehört immer noch zum Aikikai. Wir sind und waren immer im Aikikai organisiert. Saito-Sensei hat den Aikikai niemals verlassen. Wir richten uns heute nach Hoa-Sensei. In der Stadt [New York City] war Seiichi Sugano-Sensei mein Lehrer im NY aikikai. Ihm war klar, mir war klar, allen war klar, dass ich dort nicht hineinpasste. Also Sugano-Sensei krank wurde und nicht mehr so regelmäßig unterrichten konnte, hat er mir einen kleinen Stups gegeben, damit ich für mich eine andere Perspektive fand. Ich sah mich also um. Kurz vor seinem Tod drängte er mich dann freundlich mich doch einmal bei Saito-Senseis Schülern zu erkundigen. Versteh’ mich nicht falsch: Ich konnte gehen wohin ich wollte! Aber ich hatte schon damals großen Respekt vor Saito-Sensei, seit ich ihn 1979 oder 1980 bei einem USAF Sommer-Camp kennen gelernt hatte. Wir fanden dann ein exzellentes Dojo in Kalifornien.
Sugano-Sensei war toll. Ich habe den allerhöchsten Respekt vor ihm, doch ich denke Saito-Senseis System ist wahrscheinlich etwas umfassender – und die Waffentechniken hatten mehr mit dem zu tun, was O-Sensei unterrichtete. Ich glaube Sugano-Sensei hat noch etwas Kendo in seinen Unterricht einfließen lassen. (Ich mag Kendo, es ist interessant und lehrreich.) Doch ich meine, dass O-Sensei etwas anderes im Sinn hatte, als er Aikido erschuf. Ich fühle mich einfach wohler mit dem Waffensystem, dass direkt von O-Sensei stammt.
Als ihr euren Fokus vom Aikikai-Stil zum Iwama-Stil gewendet habt, war es schwierig sich umzugewöhnen?
Für mich nicht so sehr. Ich war zwar kein direkter Schüler von Saito-Sensei, bin auch nie in Japan gewesen, doch ich ergriff jede Gelegenheit seine Seminare in den USA zu besuchen. Wie schon gesagt, ich hatte großen Respekt vor ihm. Ich versuchte alles aufzunehmen, was ich bei ihm lernte. Bei mir ging es also eher darum mein Gedächtnis aufzufrischen und dann vielleicht nur hier und dort etwas hinzuzufügen. Aber vieles kannte ich schon. Es war so als würde man am Computer den „Neu laden"-Knopf drücken (lacht). Manche Iwama-Techniken hatten wir sowieso schon geübt, aber hauptsächlich in den Grundtechniken, nichts darüber hinaus. Für die anderen im Dojo war es eine Menge Arbeit, es war schwierig.
Haben alle im Dojo diesen Wechsel mitgetragen?
Das Dojo wollte diesen Wechsel! Es war ihre Entscheidung. Einige wollten sich lieber nach Shiohiro-Sensei richten, den ich ebenfalls sehr respektiere. Ich mag ihn sehr. Aber die meisten im Dojo wollten das nicht. Die meisten wollten sich lieber nach dem Iwama-Ryu richten. Das gefiel ihnen besser.
Hast Du eine Aikido-Philosophie? Oder hältst Du nicht all zu viel von Spiritualität? Versuchst Du die Werte und Kultur des Aikido zu pflegen?
Meinst du, ob ich nur auf die physische Technik achte?
Man [könnte]{style=“font-style: normal”} Aikido auch völlig ohne die Berücksichtigung der geistigen Aspekte betreiben. Versuchst Du die geistigen Aspekte des Aikido zu unterrichten und in Worte zu fassen oder ist das etwas zu persönliches, etwas, dass jeder für sich selbst herausfinden soll?
Nun, ja und nein. Ich beantworte Fragen, doch ich erlege niemandem meine Antworten auf. Und der was das Finden des eigenen Weges betrifft: Ja, die Leute sollten unbedingt ihren eigenen Weg finden. Ich habe keine eigene Philosophie oder Agenda, die ich anderen aufprägen wollte. In den Kampfkünsten versuchen wir alles auf die effizienteste Weise zu tun, doch es stellt sich dann heraus, dass für verschiedene Leute verschiedene Philosophien der jeweils für sie effizienteste Weg ist. Es ist wirklich schwer zu erklären. Aber es muss definitiv niemand meiner persönlichen Philosophie folgen.
Aber du hast eine Philosophie…
Ich habe keine eigene persönliche Philosophie. Ich meine, ich habe mir keine ausgedacht. Ich habe mich mit Meditation und anderem beschäftigt. Ich konzentriere mich auf diejenigen Elemente, die im Einklang mit den verschiedenen Philosophien stehen, die es da draußen gibt. Alle sollen zusammenkommen und auf der gleichen Ebene kommunizieren können. Wir streiten uns nicht über die Dinge, die uns trennen, sondern reden über die Dinge, die uns vereinen. Von diesem gemeinsamen Anfangspunkt kann dann jeder seine ganz persönlichen Ideen entwickeln. Das ist gar kein Problem. Und doch kommen wir alle zusammen und trainieren, ohne dass jemand dieses oder jenes zu glauben hätte. Jeder soll das finden, was seinen oder ihren Wünschen am nächsten kommt.
Hast Du auch beobachtet, dass viele, die mit dem Aikido beginnen, nach ein paar Jahren aufgeben? Und wenn ja, frustriert es Dich? Denn immerhin glauben wir ja, dass Aikido großartig ist. Warum sollte man aufhören?
Ich versuche mich auf die Menschen zu konzentrieren mit denen ich umgehe; Ihnen zu helfen, wenn Sie meine Hilfe brauchen. Wenn jemand aufhört, ist das für mich kein Grund mich zu ärgern. Ich konzentriere mich einfach auf die nächste Person, die Hilfe braucht.
Aber Du hast Ihnen etwas gegeben und Zeit und Mühe aufgewendet…
Einmal trainierte in unserem Dojo jemand für zwei oder drei Jahre und entschloss sich dann, dass er Aikido furchtbar fand. Er ging dann in eine BJJ-Schule [Brazilian Jujitsu] und das war seiner Meinung nach das absolut Beste. Und er rannte dann herum und machte Aikido schlecht. Etwas später begann jemand aus unserem Dojo auch mit dem BJJ in jener Schule und mein Sohn auch. Ich war also als Besucher in dieser Schule und dieser Typ kam dann zu mir herüber und er war plötzlich sehr bescheiden. Er bedankte sich bei mir für die Zeit, die er in meinem Dojo verbringen durfte. Es war nichts Negatives daran. Er erklärte, dass er BJJ einfach für ihn das Allerbeste war und unser Dojo half ihm dabei, das zu entdecken. Ich antwortete: „Das ist wunderbar. Ich freue mich, dass ich helfen konnte. Das hier ist ein gutes Dojo. Es passt gut zu dir und du solltest hier weitermachen." Warum sollte ich mich darüber ärgern? Es war das richtige für ihn. Alle Kampfkünste sind gut. Es muss nicht Aikido sein. Wenn jemand Nutzen aus BJJ zieht und ich jemandem dabei helfen kann, dass zu entdecken, dann habe ich meine Arbeit getan.
Wenn Du hörst, dass jemand behauptet, dass Aikido keine „richtige Kampfkunst" ist, was würdest du erwidern?
Das hängt von der Person ab. Manche Leute, die so etwas behaupten, sind gar nicht an Argumenten interessiert. Sie wollen sich nur selber reden hören. Wenn so jemand das sagt, lass’ ich sie einfach reden.
Du meinst, diese Leute sind so voreingenommen, dass es sinnlos ist, zu streiten?
Ich kenne mich ein wenig mit Debattieren aus. Eine wichtige Lektion ist, dass man nicht auf Leute eingehen sollte, die gar nicht am Zuhören interessiert sind. Wenn sie nicht zuhören, braucht man auch nichts zu sagen. Es ist eigentlich ganz einfach.
Wenn man diese Meinung hört oder darüber liest, dann ist dies meist von Leuten, die Aikido nur „von weitem" kennen gelernt haben. Ich erzähle manchmal den Witz, dass Leute zwar behaupten, dass Aikido nicht funktioniert, doch dass sie es nie auf der Matte sagen.
Es gibt Leute, die in Aikido-Schulen kommen und sie treffen dann unter Umständen auf Leute, die nicht besonders gut sind. Daraus schließen sie dann, dass Aikido an sich nicht funktioniert – doch dass ist ein unzulässiger Schluss. Aikidoka sind hervorragende Kampfkünstler, und es gibt zweifellos auch gute Leute im Judo und in anderen Kampfkünsten. Ich respektiere alle anderen Kampfkünste. Ziel vieler Kampfkünste ist es auch, den Leuten Selbstvertrauen zu geben. Die jeweiligen Lehrer wollen nicht bewusst andere Kampfkünste schlecht machen, doch sie vermitteln den Eindruck, dass ihre eigene Kampfkunst so großartig ist, dass alles andere dagegen verblasst. Es gibt sicherlich Leute, die das glauben und deswegen tatsächlich ein größeres Selbstvertrauen gewinnen, denn immerhin erlernen sie ja „die allerbeste aller Kampfkünste". Für sie funktioniert das tatsächlich. Das ist nicht an sich schlecht. Es ist ein Werkzeug, dass es ihnen ermöglicht eine Kampfkunst zu erlernen. Das ist nicht verkehrt.
Wenn jemand in das Dojo kommt und fragt, warum man Aikido studieren sollte, was antwortest du dann? Oder warum ist Aikido besser als etwas anderes?
Ich würde zuerst fragen, warum sie sich für Aikido interessieren und worauf es ihnen ankommt. Für jemanden, der an Wettkämpfen teilnehmen möchte, ist Aikido nicht das richtige. Letztendlich haben alle Kampfkünste das gleiche Ziel. Es gibt einfach unterschiedliche Stile. Im Aikido legen wir schon von Anfang an einen Schwerpunkt darauf, einen friedliche Grundhaltung einzunehmen. In anderen Kampfkünsten beginnt man mit zerstörerischen Techniken, um den Leuten erst mal Selbstvertrauen zu geben. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Jemand ohne Selbstvertrauen kann sich auch nicht verteidigen; also fangen andere so an. Im Aikido lassen wir das aus. Wir versuchen von Anfang an ein Gefühl von Friedfertigkeit zu kultivieren. In anderen Kampfkünsten wird den Leuten erst nachdem man ihnen harte Techniken beigebracht hat gezeigt, wie man Schaden abwendet und friedlicher wird. O-Sensei hat ein Buch mit dem Titel „Die Kunst des Friedens" geschrieben, nicht „Die Kunst des Krieges". Er hat also eine Kampfkunst geschaffen, die eher Leute anzieht, die friedfertig sein wollen. Wenn du das möchtest, dann ist Aikido das Richtige für dich. Das soll nicht heißen, dass man das nicht auch zum Beispiel mit Karate erreichen könnte. Am Ende bleibt es sich gleich.
Ich weiß, dass du das Training mit Waffen für wichtig hältst. Bitte erkläre warum.
Fortgeschrittene Aspekte der Kampfkünste erschließen sich am Besten durch die Waffen. Man hat eine größere Reichweite. Da es gefährlicher ist, ist das Training intensiver. Man muss sich mehr entspannen. Die Grundlagen der Bewegung bleiben die gleichen. Man erweitert die Grundfähigkeiten durch das Waffentraining, was dann wiederum einen positiven Einfluss auf die waffenlosen Techniken hat.
Ich glaube, Saito-Sensei sagte oft: “Wenn man mit Waffen arbeitet sollte man waffenlose Techniken denken, und wenn man ohne Waffen arbeitet, sollte man an die Waffentechniken denken.” Ich habe schon von Anfang an mit Waffen trainiert, weil ich meine Handgelenke verletzt hatte und dieses Training geholfen hat. Für mich waren Waffen immer ein integraler Teil des Aikido. Aikido ohne Waffen wäre seltsam.
Fühlst du dich eingeschränkt, weil wir nur mit Bokken und Jo arbeiten? Es gibt unzählige Waffen, aber O-Sensei hat sich auf diese beiden konzentriert.
Ich bevorzuge Uzis (lacht). Ich fühle mich dadurch nicht eingeschränkt. Es ist schwierig genug, diese beiden erlernen. Allein das ist schon eine Herausforderung.
Wenn wir die Suburis üben, bin ich überrascht, wie viele Dinge man mit etwas so einfachem wie dem Stab machen kann.
Ja, der Stab ist ziemlich kompliziert.
Woran erkennt man einen guten Aikido-Lehrer? Wenn man zwei Lehrer vergleicht, wie findet man den besseren heraus? Oder – um die Frage anders zu stellen: Warum bist du ein guter Lehrer?
Das habe ich nie behauptet!
Aber das musst du doch glauben, sonst würdest du nicht unterrichten, oder?
Ich wurde gebeten ein Dojo zu eröffnen. Es ist mir irgendwie zugefallen.
Du bist so bescheiden, es ist kaum zu ertragen.
Ich tue mein Bestes, das ist wichtig. Ob ich gut bin oder nicht, ist nicht so wichtig. Ich gebe mir Mühe. Unterrichten finde ich sehr herausfordernd und schwierig. Ich neige nicht dazu, die Welt in gut und schlecht zu unterteilen. Das ist nicht hilfreich.
OK, dann lass mich die Frage umformulieren: Welches sind die Qualitäten eines guten Lehrers?
Das ist schon eine bessere Frage! Ethisches Verhalten ist ein kritischer Faktor. Man muss daran arbeiten, ein besserer Mensch zu werden als man ist. Man kann nicht gleichzeitig ein Schurke und ein guter Mensch sein. Wenn man nicht darin geübt ist, sich als Mensch zu verbessern, wie soll man dann anderen dabei helfen?
Wenn ich also einen Lehrer sehe, dessen Verhalten nicht durch und durch ethisch einwandfrei ist, dann habe ich bei ihm oder ihr nichts verloren denn ich kann nicht das lernen, was ich suche.
Idealerweise sollte es jemand mit echter Erfahrung und tiefer Einsicht in die Kunst sein, der die Kunst nicht dualistisch betrachtet.
Du meinst damit: Eine vollständige Persönlichkeit, die den Weg lebt und dessen Werte sich in den Techniken und ihrem Verhalten im Alltag widerspiegelt?
Richtig. Wenn man so jemanden nicht finden kann, dann ist es auch in Ordnung, wenn man jemanden hat, der sich zumindest in diese Richtung bewegt und der mehr weiß als man selbst.
Was denkst du über das Graduierungssystem im Aikido? Wir haben das ja vom Judo übernommen und mancherorts ist es in Verruf geraten, weil es eine Art Wettkampf darstellt.
Mein Tai-Chi-Lehrer hat dazu eine lustige Anmerkung gemacht. Ich habe ihn mal gefragt, warum er keinen Grad hat und er antwortete: “Ach, nein. Diese Probleme kann ich nicht gebrauchen.” Ich meine, dass die Grade ein gutes Werkzeug sind, um den Leuten zu helfen sich auf einzelne Techniken zu konzentrieren und sie sich zu eigen zu machen.
“Wenn Leute graduiert werden, dann glauben sie, sie wüssten etwas,” das war es, was mein Tai-Chi-Lehrer gesagt hat. Da ist was Wahres dran. Wenn jemand sagt: “Ich habe den X. Schwarzgurt und deswegen weiß ich etwas (besser)”, dann ist das ein Problem.
Graduierungen sind ein Lernwerkzeug. Darüber hinaus haben Sie keinen besonderen Wert. Kindern helfen die Gurte dabei ihr Selbstvertrauen zu entwickeln. Grundsätzlich bin ich aber kein großer Fan von Graduierung.
Planst du deinen Unterricht in voraus oder bist du eher spontan?
Beides. Ich habe oft eine Verstellung davon, was bestimmte Leute trainieren sollten, die wahrscheinlich kommen werden, doch ich weiß ja nie wer kommen wird. Wenn ich bei einem Lehrgang unterrichte, dann hängt es davon ab, ob ich weiß, wie üblicherweise in dem betreffenden Dojo trainiert wird und was ihr Schwerpunkt ist. Dann überlege ich mir etwas, dass in diesem Dojo nützlich sein könnte. Normalerweise habe ich eine ganz gute Vorstellung davon, was ich machen möchte. Dann komme ich an und muss dann doch etwas ganz anderes machen (lacht).
Ich habe keinen Plan, der in Stein gemeißelt ist. Wenn ich feststelle, dass an etwas Bedarf besteht, dann gehe ich darauf ein. Vieles davon ist spontan. Manchmal muss ich auch länger darüber nachdenken, je nach Situation und kann dann erst meine Ideen präsentieren.
Meinst du eher “heute über wir Shiho-Nage, weil diese oder jene Person diese Technik üben muss”, oder eher “ich muss dieser oder jener Person etwas über Zentrum und Gleichgewichtsbrechung erzählen…”
Ich möchte ein Beispiel geben. Ich habe mal einen Lehrgang in einem Dojo geleitet mit sehr eigenwilligen Vorstellungen vom freien Angriff. Sie nahmen einfach keine Rücksicht auf die Fähigkeiten des Nage. Sie würden einfach wie verrückt anstürmen und erwarteten, dass Nage damit umgehen können sollte. Soweit ich gehört habe, gab es dabei immer wieder schwere Verletzungen. Am Ende des Lehrgangs sollten wir Randori präsentieren und ich zeigte ihnen dann, wie man auf solche Angriffe reagieren muss: Mit Atemi. Und ich habe kräftige Atemi eingesetzt. Ich habe niemanden wirklich getroffen, aber ich habe ein paar der Angreifer schon ziemlich erschreckt. Ich habe ganz klar gemacht, dass das, was mit mir versuchten, nicht funktionieren würde. Als nächstes erklärte ich, dass man Respekt vor den Fähigkeiten des Nage haben muss. Ich wusste, dass diese Leute genau das hören mussten und manches davon würde vielleicht hängenbleiben. Das war nur ein Beispiel, in dem ich meinen Unterricht ändern musste, weil ein bestimmtes Thema auf dem Tisch lag.
Oftmals bemerkt man, dass Anfänger im Aikido zu Beginn ihres Trainings sehr schnelle Fortschritte machen. Nach einer Weile erreicht man allerdings ein Plateau und zumindest subjektiv geht es nur noch sehr langsam vorwärts. Dann wird man irgendwann wieder besser, um daraufhin wieder zu stagnieren.Wenn Leute dieses Gefühl haben, was würdest du ihnen raten.
Das Ziel des Trainings ist nicht besser zu werden. Der Wunsch sich zu verbessern ist tatsächlich ein Hindernis. Das Ziel der Übung ist zu üben. Und wenn man einfach nur trainiert, dann wacht man eines morgens auf und wird feststellen, dass man sich verbessert hat. Wenn man herumsitzt und grübelt, warum es nicht vorangeht, dann hat man den Grund schon! Das Grübeln ist das Hindernis. Also würde ich sagen: Vergiss es einfach und übe. Das Training macht dich zu einem besseren Menschen, einem glücklicheren Menschen. Trainiere einfach und der Rest kommt von alleine. Mach dir keine Sorgen.
Du hast mal erzählt, dass du ein Seminar von Wolfgang Baumgartner besucht hast. Kennst du noch andere europäische Lehrer?
Ja, Tamura-Sensei.
Der zählt nicht als europäisch.
Er ist auch schon verstorben. Er war toll. Ich war auch bei einem Lehrgang mit Paolo Corallini. Er war gut.
Er ist ein hochrangiger Schüler von Saito-Sensei, oder?
Ja, aber sonst kenne ich keine Lehrer aus Europa. Es kommen mehr Lehrer aus Japan als aus Europa, insbesondere fortgeschrittene.
Japanische Lehrer stehen stärker im Rampenlicht, weil sie typischerweise (noch) eine direktere Verbindung zu O-Sensei haben.
Im Iwama-System ist es ein wenig offener. Die hochrangigen Lehrer sind über die ganze Welt verteilt. Es gibt sie Europa, in den USA…
Die Tatsache, dass sie Uchi-Deshi aus der ganzen Welt willkommen heißen, ist sicherlich hilfreich.
Eine meiner weniger spannenden Fragen: Was denkst du über Martial Arts-Filme?
Manche sind ziemlich gut gemacht. Ich bin kein besonderer Fan, daher kenne ich nicht viele, aber ein paar der chinesischen Filme mit Jet Lee oder Jackie Chan habe ich gesehen. Sie sind gute Kampfkünstler. Sie machen gute Sachen.
Mein Zen-Lehrer hat mal Jet Lee interviewt, doch ich hab’s nicht gelesen. Steven Seagal ist ein sehr guter Kampfkünstler. Spielfilme sind eine Kunstform und können nützlich sein.
Jetzt die Fangfrage: Was denkst du über den Einfluss, den diese Filme auf das Image der Kampfkünste haben?
Wenn ich mehr Filme gesehen hätte, wäre ich vielleicht qualifiziert diese Frage zu beantworten. Ich kenne die Bruce Lee-Filme und ein paar andere. Ich glaube, dass die Zuschauer etwas gelernt haben und das der Einfluss im großen und ganzen positiv ist. Dennoch gibt es zweifellos eine große Anzahl mieser billiger Streifen. Die kenne ich aber nicht, ich weiß einfach nicht genug darüber.
Das potentielle Problem ist in meinen Augen, dass Leute diese Filme schauen und dann glauben, sie verstünden etwas davon. Besonders im Aikido ist es doch so, dass man Aikido nicht danach beurteilen sollte, was man sehen kann. Ich hätte niemals geglaubt, dass Aikido funktioniert, wenn ich es nicht selbst trainiert hätte. Es ist viel zu einfach es nur zu sehen und zu behaupten, es könne nicht funktionieren. Es ist viel schwieriger, wenn man es versucht hat.
Keine Kampfkunst spiegelt exakt wieder, was einem auf der Straße passieren kann. Man muss es einfach so betrachten: Man muss das Training auch überleben! Wenn man im Dojo versuchen würde, was einem auf der Straße passieren kann, dann würde keiner das Training überstehen. Man muss vereinfachen, man muss verändern. Die Leute müssen die Chance bekommen, etwas zu lernen. Sie sollen Prinzipien lernen und diese dann in neuen und verschiedenen Situationen anwenden.
Wenn also jemand mit den Kampfkünsten anfängt und glaubt: „Man wird mir genau zeigen was auf der Straße funktioniert" hat einfach eine falsche Vorstellung. Ich glaube, das ist einfach nicht möglich. Es muss ein System geben innerhalb dessen man Prinzipien studiert und lernt den Körper zu entspannen, so dass man diese Prinzipien anwenden kann. Das ist wirklich die einzige Art und Weise, die irgendeine Kampfkunst funktionieren kann.
Welche Lehrer hältst du heute für herausragend? Ist das überhaupt eine sinnvolle Frage? Denn schließlich kann ein Lehrer nur gut für dich sein, wenn du eine persönliche Beziehung mit ihm oder ihr hast.
Das ist ein wichtiger Punkt. Um unterrichtet zu werden, muss man eine Verbindung mit dem Lehrer haben. Jemand kann der beste Lehrer der Welt sein, doch wenn man mit ihm oder ihr noch nie gearbeitet hat, ist das bedeutungslos. In den Siebzigern war die Aikido-Welt noch geprägt von O-Senseis Familie, seinem Sohn, dann von Tohei-Sensei und Morihiro Saito-Sensei. Danach hat es sich dann verzweigt. Ich kenne natürlich nicht alle Lehrer da draußen und würde bestimmt irgend jemanden verärgern [wenn ich mich festlege]. Ich weiß nicht recht. Aber die Abstammung durch diese Kanäle ist maßgeblich.
Denkst es ist nötig in Japan trainiert zu haben?
Warum sollte es?
Ich vermute, dass jeder, der eine japanische Kampfkunst studiert, davon träumt einmal in Japan trainiert zu haben. Doch diejenigen, die das dann tatsächlich tun, machen häufig die folgende Erfahrung: Ja, Japan ist ein großartiges Land und die Kultur ist interessant und so weiter; aber das Training ist genauso wie zu Hause.
Worauf es ankommt ist, wie fortgeschritten der Lehrer ist. Dieses „fortgeschritten sein" kann aber Ländergrenzen überschreiten. Man muss kein Japaner sein, um ein Fortgeschrittener zu sein und ein tiefes Verständnis für das Aikido zu entwickeln. Auch jemand in diesem Land (den USA) kann dieses Verständnis erlangen und trotzdem kulturell ein Amerikaner bleiben. Das ist großartig. Man könnte eine gutes amerikanisches System schaffen, mit guten amerikanischen Schulen und genau so gut sein wie die Japaner. Es gibt keinen Grund, warum das nicht passieren könnte. Es kommt darauf an, wie hart die Leute an sich arbeiten, wie viel sie lernen. Es kommt nicht auf den Ort an. Einige Aspekte des Trainings können tatsächlich in Japan betont werden und manchen Leuten sind diese wichtig. Ich gehöre einfach nicht zu diesen Leuten. Wenn jemand gerne nach Japan gehen möchte, bitte sehr. Aber für mich ist das unwichtig.
Denkst du, dass der Schwarzgurt eine besondere Bedeutung hat?
Er hilft, um sich auf die Grundlagen zu besinnen. Wenn man dann zum dritten Dan aufgestiegen ist, arbeitet man an den technischen Feinheiten und studiert die Kunst an sich. Dann hat man das technische Material durchgenommen. So ist es jedenfalls vorgesehen … Das funktioniert, um den eigenen Trainingsschwerpunkt zu bestimmen. Das heißt nicht, dass immer die Sonne scheint, nur weil man einen Schwarzgurt hat. Das heißt nicht, dass man sich in allen Fällen verteidigen kann. In diesem Sinne hat der Schwarzgurt keine Bedeutung.
Arbeitest du auf irgendein Ziel hin? Ich meine unabhängig davon, Freude am Training der Prinzipien zu haben.
Ich wünschte, ich hätte weniger Hindernisse. Es gibt Widerstände im Training.
Also hast du Pläne … ?
Ja, klar.
Zum Beispiel?
Ich bemerke, wenn meine Bewegung den Bruchteil einer Sekunde von der perfekten Bewegung abweicht. Und spüre, dass meine Technik dann nicht korrekt ist.
Das ist doch aber nur eine Frage der Quantität, nicht der Qualität, oder? Ich meinte, gibt es irgendwas, bei dem du dir wünschst, dass einfach einer zu dir kommt und dir zeigt wie dieses oder jenes gemacht wird? Oder meinst du, dass du praktisch alles gesehen hast und nur noch an der Perfektionierung arbeiten musst …
Du meinst, ob ich noch irgendwelche coolen Techniken lernen will? Nicht wirklich.
Du hast also alle Techniken gemeistert?
Nein, ich könnte mehr an den Grundlagen arbeiten. Ich muss nicht das nächste coole Ding lernen.
Aber die Grundlagen hast du schon für 30 Jahre trainiert …
Ja, ich bin langsam (lacht).
Ich hoffe, dass du in den letzten paar Jahren auch etwas Neues gelernt hast, denn sonst wäre das sehr deprimierend, oder?
(Lacht) Ich will nicht sagen, dass ich nichts weiß. Aber bei meinem Training konzentriere ich mich auf die Dinge, die ich falsch mache. Und ich versuche mich selbst zu beobachten und verbessern. Also statt mir selbst auf die Schulter zu klopfen und mich selbst zu loben für das was ich schon kann, halte ich inne und versuche die Fehler zu analysieren, sie mir bewusst zu machen und sie zu beheben.
Und das funktioniert auch?
Natürlich (lächelt).
O-Sensei gehörte der Shinto-Sekte Omoto-Kyo an. Er sprach andauernd über seine Erfahrungen mit den Göttern und so weiter. Auch wenn er seine Schüler nie dazu aufgefordert hat seine Überzeugungen zu teilen, so sind doch trotzdem manche Aikidoka überzeugt, dass dieser Glaube ein wichtiger Bestandteil des Aikido ist. Was meinst du dazu?
Wenn es diesen Leuten hilft: Prima. Gut für sie. Für mich allerdings ist das Omoto-Kyo und derlei uninteressant. Doch manche Leute interessiert es und wenn es ihnen hilft, ist das großartig.
Was ist der Unterschied zwischen Aikido und Aiki-jutsu?
Es sind verschiedene Kampfkünste. Die Techniken sind unterschiedlich. Ich glaube, dass O-Sensei ein besserer Kampfkünstler als Sokaku Takeda war. Und mir gefällt der Gedanke, dass die Idee der Friedfertigkeit im Aikido so früh eingeführt wird. Das hat mich angezogen als ich angefangen habe. Es gibt es ganze Reihe von guten Dingen, die das Aikido vom Daito-Ryu unterscheiden.
Roy Goldberg (vom Daito-Ryu) hat hier ein Seminar gegeben. Vorher hatte ich gedacht, dass Daito-Ryu ziemlich brutal sei.
Ich glaube, er hat die brutalen Sachen ausgelassen. Er hat mir vor dem Lehrgang gesagt, dass er gleich zu den Ki-Techniken übergehen würde. Ich glaube, dass das Training üblicherweise mit härteren Sachen beginnt. Er ist der einzige starke Daito-Ryu Lehrer, den ich persönlich kennen gelernt habe. Ansonsten kenne ich mich damit nicht sehr gut aus. Es gab ein paar wichtige Unterschiede; wenn ich einen horizontalen Kreis beschreiben würde, machte er einen vertikalen. Solche Unterschiede in den Details gibt es viele.
Was ist das Ziel das Aikido, wenn es denn eines hat?
Die Menschen wollen glücklicher sein. Wenn man angegriffen wird, möchte man überleben. Aikido ermöglicht beides. Man lernt auf die effizienteste Art und Weise zu überleben. Und deswegen ist man ein glücklicherer Mensch. Und wichtiger Teil davon ist, dass man ein konstruktiver Mensch wird, der den Menschen um ihn herum hilft, denn nur so wird man glücklich. Das ist sozusagen die Skizze. Man darf sich nicht auf ein einzelnes Ziel zu sehr versteifen, denn sonst ist es einem im Weg. Deswegen sagte ich, dass man einfach nur Trainieren soll; der Rest geschieht schon von alleine. Man denkt dann, es ginge nur ums Training, aber es liegt in der Natur der Sache, dass das Training einen verändert.
Du hast erwähnt, dass du auch als Finanzberater arbeitest, der die Prinzipien des Aikido in seiner Arbeit berücksichtigt. Wie muss man sich das vorstellen? Wie funktioniert Finanz-Aikido?
Ich weiß nicht, wie es in Europa ist, doch in diesem Land ist die Finanzindustrie wirklich verdreht. Sie benutzt mathematische Modelle, die nicht darauf ausgelegt ist, ihre Ziele zu erreichen. Sie sind so gemacht, dass diejenigen Leute viel verdienen, die diese Modelle verkaufen wollen. Dazu kommt, dass die Berater, die dann tatsächlich mit den Menschen arbeiten, überhaupt nicht ausgebildet sind. Für diese Leute geht es nur ums Geld. Doch Geld ist kein Selbstzweck. Es sollte nur ein Werkzeug sein, um die eigentlichen Lebensziele zu verwirklichen, damit man dann – ich sagte es bereits – glücklich werden kann. Die Finanzberater haben keine Ahnung davon wie man glücklich ist, doch sie sollen dafür sorgen, dass man glücklich wird und die mathematischen Modelle sollen es richten. Es ist dann größtenteils Zufall, ob das funktioniert. Auf jeden Fall mehr vom Zufall abhängig als es sein müsste. Es ist wirklich ein Durcheinander.
Welchen Rat würde ein Finanzberater mit Aikido-Hintergrund geben, den ein anderer Berater nicht geben würde?
Man beginnt zunächst einmal damit, dass man die Finanzsituation des Kunden aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchten muss und nicht nur auf das Bankkonto fixiert ist. Natürlich gehört das dazu, doch ein guter Ratgeber fragt auch danach, welche Arbeit man tut, um sein Geld zu verdienen. Die eigene Arbeit muss zum Charakter passen und der Welt, die den Kunden umgibt, nützlich sein. Der Kerl, der Exxon leitet, hat bestimmt einen sehr glücklichen Finanzplaner, obwohl er einen miesen Job hinsichtlich der Erderwärmung macht. Seine Enkel werden ziemlich sauer auf ihn sein. Letztlich wird er wohl kaum der glücklichste Mensch der Welt sein. Man sollte achtsam sein bei allem was man jeden Tag tut. Und das was man tut soll und kann konsistent mit den Prinzipien des Aikido sein: Anderen helfen, konstruktiv sein, der Gemeinschaft helfen, etc. Dieser Geist sollte die eigene Arbeit durchdringen. Manche Finanzberater haben zwar nicht das richtige technische Wissen, aber sind zielsicher. Das ist selten und mehr wert, als alles andere, was diese Berater sonst leisten.
Dann kommt es auch darauf an, wie man konsumiert. Alle Schokolade in der Welt wird einen nicht glücklich machen, selbst wenn man sich das leisten könnte. Und wenn man Dinge kauft, für deren Herstellung oder mit denen die Umwelt zerstört wird, dann wird einen das letztendlich auch nicht glücklich machen. Man kann durch eigene Konsumentscheidungen die Welt um sich herum formen. Das muss auf eine Weise geschehen, die der Welt hilft, sie heilt, eine bessere Welt schafft. Also, das Leben hat einen Arbeitsaspekt, einen Konsumaspekt und einen Investitionsaspekt. Wenn man zum Beispiel Aktien von Exxon hält, dann wird einen das, wenn man auf die eigenen Entscheidungen zurückschaut, nicht glücklich machen. Man muss beim Investieren auch die ethischen Aspekte berücksichtigen. Man muss an den Menschen denken. Man muss sich umschauen und dann kann man auf die mathematischen Modelle schauen und überlegen, wie diese helfen können die richtigen finanziellen Ziele zu erreichen. Im Gegensatz zu unklaren und willkürlichen Zielen, die vielleicht irgendwelche Ziele von irgendjemandem erreichen, aber nicht deine. Niemand kümmert sich darum. Man will effizient und effektiv sein.
Aikido scheint eine bestimmte Sorte von Leuten anzuziehen…
Wir nennen sie Hippies (lacht).
… diese Leute reflektieren ihr Tun sehr bewusst und wollen in Harmonie mit ihrer Umgebung leben und wollen gute Menschen sein. Glaubst du, dass Aikido dazu führt, dass Menschen so sind oder werden einfach solche Leute vom Aikido angezogen?
Es ist beides. Aikido ist „Die Kunst des Friedens". Ich glaube, dass O-Sensei eines seiner Bücher mit gutem Grund [so ]{style=“font-style: normal”}genannt hat. Er zieht Leute an, die Frieden wollen. Andererseits habe ich beobachtet, dass Leute mit aggressiven Tendenzen durch das Training verändert wurden. O-Sensei hat eine Kunst geschaffen, die tatsächlich ihren Zweck erfüllt. Wenn also jemand beim Training erscheint, der einen aggressiven Charakter hat, dann hilft das Training ihnen wahrscheinlich sich zu verbessern. Dafür ist es eigentlich gedacht.
In welche Richtung entwickelt sich das Aikido? Glaubst du es schon alle möglichen Leute erreicht hat? Gibt es noch Potential? Ich treffe immer noch Leute, die nie davon gehört haben. Sie kennen vielleicht noch Steven Seagal. Brauchen wir mehr Werbung?
Darauf habe ich keine gute Antwort.
Oder ist Aikido vielleicht tatsächlich nur für eine besondere Art von Leuten. Möchten wir, dass jeder Aikido ausprobiert? Oder ist es nur für eine ausgewählte Elite?
Ich würde nicht sagen, dass Aikido nur für eine Elite ist. Bestimmte Dojos oder Lehrer ziehen bestimmte Schüler an, doch diese sind nicht notwendigerweise elitär. Sie können gebildeter oder ungebildeter sein. Aikido ist sicherlich nicht so konzipiert, dass man besonders sein muss. Es gibt vielleicht Systeme, die elitär sind, andere wiederum sind es nicht. Als Saito-Sensei einmal gefragt wurde: „Was ist Aikido?", war seine Antwort: „Das ist eine schwierige Frage; eine bessere Frage wäre: ,Für wen ist Aikido?ʻ " Und dann beantwortete er die Frage: „Für jeden, der sich dafür interessiert."
Das klingt für mich wie eine selbstbezügliche Definition…
[Was er meint ist:] Leute sehen es und fühlen sich dazu hingezogen. Für diese Leute ist es gedacht.
Was mich so frustriert ist die Erkenntnis, dass Aikido nicht für jeden geeignet ist. Ich fände es toll, wenn mehr Menschen es so mögen wie ich.
Ein Freund von mir, der Aiki-Jujitsu unterrichtet, hat es gut formuliert. Er sagte: „Es gibt so etwas wie die beste Kampfkunst nicht. Es gibt nur die beste Kampfkunst für [dich." Es gibt 7 Milliarden Menschen auf der Welt, jeder mit eigenen Bedürfnissen. Es wird niemals gelingen, alle zusammenzubringen und in irgendetwas einer Meinung zu sein. Das ist eine unrealistische Erwartung. Die Grundidee ist es, viele verschiedene Systeme zu schaffen, so dass Menschen unterschiedlicher Persönlichkeit mit unterschiedlichen Bedürfnissen das Beste für si]{style=“font-style: normal”}[ch]{style=“font-style: normal”}[ finden. Wenn diese Leute von den verschiedenen Systemen dann noch zusammenarbeiten, dann hätten wir alle was davon. Wir sollten anerkennen und schätzen, was jeder zu bieten hat und voneinander lernen. ]{style=“font-style: normal”}[Letztlich wollen wir alle das gleiche. Als also dieser Typ zu mir kam und mir sagte, dass ich für ihn das Sprungbrett zum BJJ war, da habe ich mich gefreut. Weil ich genau weiß, dass dieses Dojo für manche Leute ein Sprungbrett ist. Darum geht es doch. Wer trainieren will, kann trainieren. Man braucht nicht besonders zu sein. Wir wollen eine bessere Welt schaffen. Wenn dein Wunsch, dass jeder Aikido machen sollte, in Erfüllung ginge, gäbe es sehr viele ung]{style=“font-style: normal”}[l]{style=“font-style: normal”}[ückliche Menschen.]{style=“font-style: normal”}
Na ja, ich habe ja nicht gemeint, dass ich es irgendwem aufzwingen will. Es ist eher, dass ich niemandem vermitteln kann, was daran so toll ist.
Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Ich habe dir noch nicht von dem anderen Mal erzählt, als ich aufgehört hatte. Das war 1998 oder 1999. Ich war krank und konnte für neun Monate nicht trainieren.
Oh, das zählt nicht. Das war ja nicht absichtlich.
(Lächelt) Ich habe mich wieder aufgerappelt.
Hast du eine Lieblingstechnik oder eine Technik, die du nicht magst?
Nicht wirklich.
Ich mag Koshi-nage nicht.
(Lächelt) Ich bin flexibel.
Vielen Dank für deine Zeit.
Tut mit leid, dass du dich verletzt hast.
Oh, ich verbiete mir deprimiert zu sein.
Brauchst du auch nicht zu sein. Es gibt wirklich keinen Grund deprimiert zu sein.
Man könnte aber frustriert sein. Es gibt manche Tage, da denke ich, dass ich nie wieder Aikido machen kann.
Man hat mir gesagt ich sollte aufhören! Mehr als einmal. Ich war so krank, dass ich dachte ich würde nie wieder das Bett verlassen. Ich konnte mich nicht mehr rühren.
Es war lustig. Ich kam ins Dojo, um zuzuschauen. Es fiel mir schwer hinzukommen. Ich musste eine Woche die Energie ansparen, die ich brauchte, um hin zu gehen. Es ging mir wirklich schlecht. Und Sugano-Sensei sah mich an und schimpfte mit mir: „Du gehst wieder nach draußen. Du schüttelst das ab und lässt das draußen. Mit dieser Einstellung kommst du nicht hier herein. Lass’ dich nicht unterkriegen." Ich sagte ok, setzte mich und schaute zu. Und dann ging ich zu meinem Meditationslehrer und dort war es genauso. Er erlaubte einfach nicht, dass man niedergeschlagen war.
Wie kann ein Meditationslehrer das machen?
Er hat mich angebrüllt, es war nicht physisch. Er sagte, alles in der Welt ist flexibel und ändert sich. Jeder Moment ist eine Gelegenheit etwas zu verbessern. Wenn man krank ist, dann soll man sich fragen, was muss ich tun, um gesund zu werden? Jetzt gerade brauche ich Ruhe. Jeden Augenblick begutachtest du die Situation, positiv und optimistisch. Meine Depression war teilweise körperlich bedingt. Mir wurde erklärt, dass ich einfach akzeptieren sollte, dass sie physiologisch war. Mach weiter, sei positiv und optimistisch.
Aber man kann sich selbst doch nicht vorschreiben positiv und optimistisch zu sein, wenn man deprimiert ist, oder? So funktioniert das nicht.
Bei mir hat’s geklappt.
Du behauptest also, dass Leute, die deprimiert sind, selbst Schuld sind, weil sie sich nicht genug Mühe geben?
(Lächelt) Oh, es ist immer leicht ein Opfer zu sein. Nein, das war nur Spaß. Was ich meine ist: Egal was passiert – selbst wenn es physiologische Ursachen gibt – man kann es überstehen. Ich habe die Depression überwunden. Und der Grund war, das ich großes Vertrauen in meinen langjährigen Lehrer hatte, der mir viele gute Ratschläge gegeben hat. Sein Rat hat mir Selbstvertrauen gegeben, weil ich ihm vertraute und sein Rat absolut sinnvoll war. Also habe ich ihn umgesetzt und ich habe es geschafft. Ich habe immer wieder inne gehalten und mich gefragt: Was brauche ich jetzt? Ich brauchte Ruhe. Dann hatte ich ein wenig Energie. Und wieder die Frage: Was tue ich jetzt damit? Ich tue etwas Positives. Was nun? Ich brauchte wieder Ruhe. Wenn dann ein deprimierender Gedanke auftauchte, dann dachte ich daran, dass er eine physiologische Ursache hatte und habe ihn einfach vergessen. Konzentriere dich auf das was du tust, mach einfach weiter. Mach die Depression nicht zu deiner Gewohnheit. Schüttle diese Gedanken ab.
Du hast also dafür gesorgt, dass die Gedanken sich nicht selbst am Leben erhielten.
Ja, und wenn sie nicht zur Gewohnheit werden, dann wird man plötzlich schneller gesund. Und dann war die physiologische Depression auch verschwunden. Man ist in recht guter Form. Sugano-Sensei hat es mir wirklich gegeben. Das hatte einen herben Einfluss auf mich. Ich war schockiert. Ich hatte echte Depressionen, ich konnte wirklich nicht das Bett verlassen. Ich hatte nicht mal die Energie, um drei Blocks weit zu laufen – die kurzen. Irgendwo hinzugehen war extrem schmerzhaft und viele Leute bemitleideten mich: „Ach je, der arme Kerl." Aber Sugano-Sensei nicht. Er schrie mich an: „Du Niete, so kommst du hier nicht herein. Das lässt du schön draußen." Und mein Meditationslehrer genauso. Ich war wirklich schockiert. Ich habe ja nicht erwartet, dass die Leute mich bemitleideten, doch zumindest hätte ich erwartet, dass sie mich deprimiert sein lassen (lacht). Auf keinen Fall! Das ist nicht der Weg. Das war gut. Man kann die Probleme lösen. Man ist optimistisch und positiv. Fühlt man die Depression, dann erkennt man dies und sagt sich: „Das ist nur die Depression und sie macht mich kränker" und dann schüttelt man sie ab. Sonst wird der Körper schwächer und schwächer und stützt dich nicht mehr.
Zum Schluss noch eine lustige Anekdote?
Als ich meine Prüfung zum ersten Dan wiederholte, war ich recht gut. Doch ich hatte etwas Schlechtes gegessen. Ich musste dringend zur Toilette. Und du weißt ja wie schwierig das ist mit dem Gi. Sehr schwierig. Hätte es fast nicht geschafft. Als die Prüfung zu Ende war, Verbeugung und ab zur Toilette. Ah, eine andere Geschichte. Direkt nach meiner Shodan-Prüfung. Nachdem wir uns vor O-Sensei verneigt hatten, wollte ich aufstehen und mein Zeh verfing sich im Hakama. Ich verlor das Gleichgewicht, konnte mich nicht abfangen und knallte vorwärts mit ausgestreckten Armen auf die Matte. BANG. Es war ein neues Dojo. Ich war der erste Schwarzgurt und alle sahen mich an. Alle haben gelacht. Das war lustig und peinlich.
Das ist wirklich typisch für dich. Eine Geschichte zu erzählen, die für dich peinlich ist. Du nimmst dich selbst nicht so ernst. Ich denke, dass macht dich zu einem guten Lehrer.
Meine Fähigkeit mich selbst zu erniedrigen? Das muss ich mir merken. (lacht)
Noch einmal: Danke, dass ich hier sein durfte.
Copyright © und Übersetzung von Stefan Schröder, 2014.
Dieses Interview führte Stefan Schröder, Montag, Jul, 14. 2014, Scarsdale Aikido in White Plains, Tarrytown Road. http://www.scarsdaleaikido.com/