An meine Schüler
von Walther von Krenner
Ich habe bereits über Shibui geschrieben und die Qualitäten einer Chawan, einer Teeschale.
Diesen Artikel sollte man öfter lesen und die erklärten Prinzipien im eigenen Leben und Training anwenden. Man sollte sie nicht als exotische Belanglosigkeiten abtun.
Dies gilt für viele Dinge, die ich lehre. Es sind Lehren, die oft in der Gestalt unterhaltsamer Geschichten daher kommen.
Eine der Qualitäten einer guten Teeschale ist Bescheidenheit, eine Qualität, die in der heutigen Gesellschaft selten zu finden ist. Bescheidenheit soll nicht dazu dienen, Aufmerksamkeit zu erringen (so wie in „Schaut her wie bescheiden ich bin! Bin ich nicht großartig?“). Es soll ein von Herzen kommendes Gefühl sein.
Man kann stolz auf die eigenen Leistungen sein ohne egoistisch zu werden oder sich selbst zu wichtig zu nehmen.
Ich spreche in diesem Zusammenhang nicht gerne über mich selbst, doch nachdem ich mehr als fünfzig Jahre lang traditionelles Budo studiert habe, fühle ich mich berechtigt, einige Beobachtungen darzulegen.
Zunächst einmal scheinen Anfänger und auch andere, die nichts von Kodo (den alten Wegen) verstehen, zu glauben, dass ein schwarzer Gurt, Hakama oder ein anderes dummes äußeres Symbol ihnen Überlegenheit verschafft.
Ich kaufe mir einen Cowboy-Hut und schon bin ich ein Cowboy. Ich beschließe ein Lehrer zu sein und schon bin ein Lehrer. Ich habe derlei oft beobachtet.
Doch wie sollte man ein Lehrer sein, ohne vorher ein Schüler gewesen zu sein?
Shimizu-Sensei hat mir mal in Japan gesagt: „Nach fünfzehn Jahren beginnt man ein wenig zu verstehen.“
Heutzutage treten Experten jeder Fachrichtung schon nach kürzester Studienzeit auf die Bühne.
Das ist Amerika. Wir wollen traditionelle Titel ohne die traditionellen Anforderungen. Ein Beispiel ist der viel erstrebte und erhabene schwarze Gürtel. Ein Schwarzgurt ist einfach ein fortgeschrittener Schüler.
Von einem Shodan in irgendeiner traditionellen Kunst wird Grundwissen der fundamentalen Prinzipien und Techniken einer Kunst erwartet.
Ein Shodan soll sich wie ein älterer Verwandter eines Mudansha (jüngere Schüler ohne oder mit niederer Graduierung) gebärden und ein gutes Vorbild hinsichtlich der Dojo-Etikette, Grundlagen und Traditionen abgeben.
Gleichzeitig soll er weiterhin hart an sich arbeiten und seine Fähigkeiten erweitern, indem er dem Vorbild der Sempai folgt.
Die Graduierung ist in diesem Sinne wichtig, da die Menschen Meilensteine benötigen, die es ihnen erlauben ihren Fortschritt abzulesen.
Ein Anfänger hat ein fundamentales emotionales Bedürfnis nach einem Symbol seines Einsatzes und seiner Entwicklung. Doch es ist wichtig, dass die Schüler verstehen, dass dieser Rang [nur] ein Symbol dieser Leistung ist, er ist nicht der Träger dieser Entwicklung.
Jeder kann einen Gürtel oder Titel tragen; wichtig ist, die Fähigkeiten zu erarbeiten, die diese Graduierung symbolisiert.
„Ich werde hart trainieren, so dass ich eine Graduierung erlange“ offenbart eine grundsätzlich falsche Einstellung, denn sie schätzt die Graduierung höher ein, als die Fähigkeiten für die sie steht.
Der Antrieb sollte sich aus dem Wunsch die Kunst zu erlernen speisen, nicht aus dem Bedürfnis nach Rang oder Status. Diese falsche Art „Status“ ist nur ein Zeichen egozentrischer Ignoranz.
Womit ich auf das Thema „Titel“ zu sprechen kommen will. Keiner der großen Lehrer, die ich kannte, hat sich jemals selbst einen schillernden Titel verliehen.
O-Sensei zum Beispiel hat sich als Ueshiba Morihei vorgestellt; Tohei-Sensei nannte sich Tohei Koichi.
Wir waren es – die Schüler – die sie „Sensei“ oder „O-Sensei“ nannten, als ein Zeichen des Respekts vor ihren Errungenschaften und der Zeit, die sie der Kunst gewidmet haben.
Dieser Respekt kann nicht gefordert werden, er muss freiwillig geschenkt werden. Außer auf offiziellen Dokumenten habe ich sie niemals mit ihrem Titel unterzeichnen sehen.
Genauso wie bei der Graduierung ist auch ein selbst-verliehener Titel kein Ersatz für die nötigen Jahre des Trainings. Im traditionellen Budo hatten die Titel, wie Sensei, Shihan, Hanshi, Kaicho, Dojo-cho, Soke und so weiter eine genaue Bedeutung und wurden üblicherweise nach dem fünften Dan vergeben. Im Westen nun scheint es eine Obsession zu werden, sich mit exotischen Titeln zu schmücken, die hier keiner wirklich versteht. Jedem ist klar, dass man sich nicht Doktor nennen kann, ohne ein langjähriges Studium zu bestehen; wie nun kommen manche darauf, man könne sich Soke (Gründer) oder Kaicho (leitender Lehrer) nennen ohne dergleichen vorzuweisen?
Ich habe solche Ignoranz oft beobachtet und habe mich oft gefragt, woher derartiges Verhalten kommt.
Das Wichtigste sind die Fähigkeiten und das Können und nicht welche Kleidung oder welchen Titel man trägt.
Man könnte Tohei-Sensei einen fünften Kyu nennen, doch würde das seine Fähigkeiten um nichts verringern. Nach langem Studium kommen wir also zu dem Schluss, dass wir diese Dinge nicht mehr brauchen, sie sind nur Ausdruck von Ego und Unsicherheit.
Die bedeutsamen Dinge sind unsere reichhaltigen Erfahrungen, erworben während unserer langen Wanderschaft. Durch Bescheidenheit geben wir keine unserer Errungenschaften auf, sondern zeigen unser Verständnis für den größeren Zusammenhang allen Seins.
Vokabeln
Ich erkläre hier einige der Graduierungen und Ehrentitel, die im traditionellen Budo verwendet werden.
SOKE ist der Begründer eines System, so wie O-Sensei, der Begründer des Aikido. Jemand der außerhalb jeder Graduierung steht. Im Aikido wird oft Dosshu anstatt Soke benutzt.
KAICHO oder Dojo-cho ist der leitende Lehrer eines Dojo oder einer Organisation. Jemand mit sechsten Dan oder höher.
SHIHAN ist ein „Lehrer der Lehrer“ (master-instructor) einer Kunst oder eines Systems. Oft ein Dojo-cho oder Kaicho, dies ist jedoch nicht zwingend. Träger des fünften Dan oder höher.
SHIDOSHA ist der Leiter eines Dojos, gleicht Shihan. Träger des fünften Dan oder höher.
SENSEI ist in Japan ein professioneller Titel; ein Lehrer, Professor, Doktor, etc. Im Aikido Träger des dritten Dan oder höher.
JUN SHIHAN DAI ist ein Assistent des Shihan; dritter Dan oder höher.
JOSSHU, Assistent. Üblicherweise ein Schwarzgurt oder fortgeschrittener Schüler.
JUKU GASHIRA ist ein Fortgeschrittener.
SEMPAI ist ein älterer Schüler. Benutzt man für Schüler, die einen höheren Grad haben, als man selbst.
KOHAI ist ein jüngerer Schüler. Benutzt man für Schüler, die einen niedrigeren Grad haben, als man selbst.
Copyright © der deutschen Übersetzung: Stefan Schröder, New York, 2012-03-04